Schmerzensgeld für Hinterbliebene: Gleiches Recht für alle!
Ende Juni 2003 war in der Presse eine an sich gute Nachricht zu lesen: Die deutsche Bundesregierung, die Schweizer Regierung und andere Beteiligte haben sich bereit erklärt, für die Hinterbliebenen der 71 Opfer der Flugkatastrophe über dem Bodensee am 1. Juli 2002 einen Hilfsfonds einzurichten, aus denen Kompensationen gezahlt werden sollen. Was auf den ersten Blick richtig und menschlich erscheint und – das soll hier ausdrücklich betont werden – den Betroffenen auch zu gönnen ist, stellt sich bei näherer Betrachtung als rechtlich, vor allem aber rechtspolitisch nicht völlig unbedenklich dar.
Wie bei vielen (Luftfahrt-)Unfällen, haben auch im Fall der Flugzeugkollision bei Überlingen die meisten Hinterbliebenen keine oder nur geringe materiellen Schäden erlitten: Unterhaltsansprüche, wie sie typischerweise Kinder für den Verlust eines Elternteils geltend machen können, bestehen nicht, weil die Eltern solche gegen die verstorbenen Kinder nicht haben. Andere Vermögensschäden sind nicht beträchtlich. So können also weit überwiegend nur für die sog. Nicht-Vermögensschäden Forderungen nach einer „billigen Entschädigung“ für den erlittenen Schmerz über den Verlust eines geliebten Menschen gestellt werden.
Ein solches „Schmerzensgeld“ konnte bis zur Reform des deutschen Schadensersatzrechts bei Luftfahrtunfällen aber nur gefordert werden, wenn dem Schädiger grob fahrlässiges Verhalten vorgeworfen werden konnte. Durch das Zweite Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften, das am 1. August 2002 in Kraft getreten ist, wurde die Rechtslage verbessert. Der neu gefasste § 253 BGB gewährt nun in seinem Abs. 2 zwar solche Ansprüche (nicht nur, aber) auch im Rahmen von Luftbeförderungsverträgen, jedoch – und das ist entscheidend – nur dem verletzten Opfer, nicht aber den Hinterbliebenen. Diese Wertung des Gesetzgebers habe ich zwar schon früher als verfehlt kritisiert (MDR 2002, 793) an ihr kommt man aber zunächst nicht vorbei.
Wenn also im Fall der Flugkatastrophe über dem Bodensee die potenziell für den Unfall Verantwortlichen namhafte Beträge in einen Hilfsfonds einzahlen, um den Hinterbliebenen der Opfer zu helfen, so dürften diese Zahlung weit überwiegend unter dem Gesichtspunkt der Wiedergutmachung für den Verlust ihrer Angehörigen erfolgen – und das ist Schmerzensgeld. Das gilt insbesondere, wenn die Entschädigungszahlungen aus dem Opferfonds unter Anwendung schweizerischen Rechts ausgezahlt werden. Denn anders als in Deutschland haben bestimmte schweizerische Hinterbliebene (Eltern und Geschwister, soweit sie mit im Haushalt leben) einen gesetzlichen Anspruch auf Schmerzensgeld.
Damit ich nicht falsch verstanden werde: Schmerzensgeld sei den Menschen, die durch den Zusammenstoß über Überlingen so viel Leid erfahren mussten, durchaus gegönnt! Nur sollte der deutsche Gesetzgeber jetzt auch so konsequent sein, seine bisherige „Philosophie“ zu ändern und Hinterbliebenen von Opfern auch einen solchen Anspruch zuzubilligen. Im Gesetz und allen. Es kann nicht angehen, dass Hinterbliebene von Opfern spektakulärer Katastrophen Schmerzensgeld erhalten, Hinterbliebene anderer Unfälle aber nicht. Und es ist nicht akzeptabel, dass die deutsche Bundesregierung je nach „politischem Druck“ in einigen Fällen sog. Opferfonds einrichtet, in Fällen, in denen ein solcher Druck nicht besteht, nichts unternimmt.
Die Reform des Schadensersatzrechts muss also sofort reformiert werden! Dazu bedarf es nur der Einfügung eines einzigen klarstellenden Satzes in § 253 BGB und der Bestimmung des Kreises der Berechtigten. Dann hätten alle berechtigten Hinterbliebenen einen durchsetzbaren Anspruch gegen die Schädiger und ihre Versicherer und Opferfonds wären weitgehend entbehrlich.
[Reiserecht aktuell Heft 4/2003 – Editorial]