Die “Babeltürme” auf den Meeren: Ein Irrweg!?
Das Unglück der Costa Concordia sollte eigentlich nachdenklich machen. Davon ist aber wenig zu bemerken. Das Drama vor der Insel Giglio wird in der Fachwelt heruntergespielt als „Einzelfall“ und einmaliges Fehlverhalten des Kapitäns, obwohl dieser sicher nicht allein auf der Brücke war. Dass dennoch das menschliche Versagen einer Einzelperson in den Fokus gerückt wird, ist offensichtlich: Damit sollen – wie auch bei vielen Luftfahrtunfällen (z.B. beim Flug AF 447) – weitere Fragen zu grundsätzlichen technischen und /oder organisatorischen Fehlern und Fehlentwicklungen verhindert werden. Wer aber nur ein wenig hinterfragt und gar recherchiert, wird deshalb dieser arg vereinfachenden Beurteilung wohl kaum zustimmen können. Es stellen sich weitere Fragen. So wird z.B. auch zu klären sein, ob – wie vom Kapitän behauptet – die Reederei das Abweichen vom sicheren Kurs und Fahrt in Küstennähe angeordnet oder „erwünscht“, jedenfalls aber geduldet hat.
Während sich die Öffentlichkeit vordergründig nur mit diesen gegenseitigen Schuldzuweisungen beschäftigt, bleiben leider andere Aspekte im Hintergrund: Die Gigantomanie auf den Meeren.
Die Zeiten, in denen 1.000 – 2.000 Passagiere an Bord von Kreuzfahrtschiffen waren, sind vorbei. Die Gigantomanie hat auch auf den Weltmeeren nicht halt gemacht: Inzwischen kreuzen dort schwimmende Kleinstädte: 4.500 Passagiere an Bord – so auch auf der Costa Concordia – sind keine Ausnahme mehr. Die neuesten Kreuzfahrtschiffe (z.B. die Allure of the Seas) können sogar bis zu die 6.300 Passagier aufnehmen, die in 16 Passagierdecks untergebracht werden. Hinzu kommen 2.100 Besatzungsmitglieder, so dass 8.400 Menschen an Bord sein können. Und bislang war nicht erkennbar, dass das die Grenze sein soll/wird. Man ist an den aus der Bibel bekannten Turmbau zu Babylon erinnert …
Ich habe nie verstanden, welchen Reiz Bettenburgen ausüben, gleichviel ob sie an Land stehen oder auf hoher See schwimmen. Aber das ist unerheblich. Es stellt sich nämlich die wichtigere Frage, warum die Evakuierung der Passagiere nach der Havarie der Costa Condordia so unprofessionell verlaufen ist. Offensichtlich war der Kapitän der Situation nicht gewachsen. Viele der geretteten Reisenden vertreten aber die Meinung, dass das auch für die übrigen Besatzungsmitglieder gilt. Ich kann und will den Untersuchungen nicht vorgreifen, bin mir aber sicher, dass deren Ausbildungsstand eher sehr niedrig war, was nicht überrascht, weil gerade in der Schifffahrt auf vielen Schiffen viele Besatzungsmitglieder aus sog. Billiglohnländern stammen und sich oft sprachlich nur schwer untereinander verständigen können. Der Anteil von (erfahrenen) Seeleuten unter Ihnen ist ohnehin sehr gering.
Leider wurde die viel entscheidendere Frage noch nicht (jedenfalls nicht laut) gestellt: Ist bei einer Passagierzahl von mehr als 4.500 Personen eine geordnete Evakuierung überhaupt noch möglich? Auf dem Papier (z.B. die „Evakuierungsrichtlinie der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation (IMO)“) vielleicht – bei günstigen Bedingungen, wenn die See ruhig ist, das Schiff nicht oder nur langsam sinkt, die Passagiere sich so wie bei der Einweisung ruhig und besonnen verhalten und alle Tender und Rettungsinseln auch ausgebracht und genutzt werden können, was z.B. bei Schlagseite des Schiffes oder Feuer an Bord nicht immer sicher gestellt ist. Passiert ein Unfall aber in der Nacht müssten diese Massen von Passagieren aus ihren Kabinen über 16 Decks zu den Rettungsbooten gelangen. Eine geordnete Evakuierung ist schon in einer „Bettenburg“ an Land nicht einfach; auf einem Schiff bei stärkerem Seegang und gar Schlagseite noch weniger. Hinzu kommt: Zunehmend sind auch ältere Passagiere an Bord, die den körperlichen Anforderungen einer Evakuierung weniger gewachsen sind als jüngere Reisende.
Dieser Fakt wird in der Diskussion entweder nicht gesehen oder negiert.
Der frühere „Gorch-Fock“-Kommandant Immo von Schnurbein, der heute also Kapitän auf einem Kreuzfahrtschiff fährt, äußerte sich im Nachrichtenmagazin „FOCUS“ kritisch: „Ich frage mich, ob es richtig sein kann, tausende Menschen auf ein Schiff zu pferchen und zu hoffen, dass alles gut geht. Ein gewisser Schauer läuft mir da schon über den Rücken.“ Auf den Punkt gebracht hat es aber der Schiffsunfall-Experte Kapitän Jens Peter Hoffmann. In der Sendung „Beckmann“ am 19.1.2012 erklärte er: „Man kann technisch so große Schiffe bauen. Im Hinblick auf die Sicherheit sind aber 4.500 Menschen an Bord zu viel.“ Kurz: Eine geordnete Evakuierung lässt sich bei so vielen Reisenden allenfalls unter Idealbedingungen gewährleisten. Das sollte uns allen, insbesondere aber Reiseveranstaltern, Reedereien und Werften, Anlass zum Nachdenken und zum Umdenken sein!
Das gilt aber auch für die Reisenden. Solange aber für ihre Buchungsentscheidung allein der Schnäppchen-Preis maßgeblich ist, wird sich kaum etwas ändern. Denn um eine achttägige Kreuzfahrt (mit Anreise!) für 499,- EUR anbieten zu können, müssen aus kaufmännischer Sicht Massen an Menschen befördert und „preiswerte“ Besatzungsmitglieder angeheuert werden, und damit die Kosten so gesenkt werden, dass derartige Reisepreise angeboten werden können.
Ein großer Kostenblock sind bei einer Kreuzfahrtreise auch die Treibstoffkosten. Die großen Schiffe werden außerhalb von Häfen mit Schweröl betrieben, nur den Häfen wird auf Dieselbetrieb umgestellt. Der Grund: Schweröl kostet derzeit ca. 650,- USD/Tonne, Diesel dagegen 950,- USD/Tonne. Würde man ganz auf Dieselöl-Betrieb umstellen, würde das die Betriebskosten erhöhen. Experten haben vorgerechnet, dass das den Reisepreis um 50,- bis 100,- EUR erhöhen würde. Ich glaube nicht, dass das am Markt nicht durchsetzbar wäre.